Boulevardjournalismus

Dass nach Carl Hirschmann auch ich Opfer des Boulevardjournalismus werde, hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten. Doch aus dem Nichts tauchten am Open Air St. Gallen zwei junge Blick Journalisten auf, umzingelten mich und zwangen mich zu einem Interview vor laufender Kamera. Ich fühlte mich überrumpelt und vom grossen Medienhaus Ringier unter Druck gesetzt. Warum fragen die ausgerechnet mich? Das schlechte Line-Up war doch nicht meine Schuld! Was soll ich antworten?!

Dass ich ein Schild trug und bereits den ganzen Tag auf der Suche nach einem/einer neuen WG-Mitbewohner/in war, hatte ich zu diesem Zeitpunkt komplett vergessen. Es stellt sich nämlich heraus, dass sie nur daran Interesse zeigten. Auf meine Frage, ob sie mich als neuen Blick Live Quiz Moderator einstellen möchten, reagierten sie nämlich gekonnt ausweichend.

Ich fokussierte mich also auf das Interview und versuchte meine Chance bestmöglich zu nutzen. Denn wie die Journalisten mir versicherten, können später alle das Interview sehen. Darum verabschiedete ich mich langsam von meinem langweiligen Dasein als Nobody. Schliesslich warten zigtausende neuer Follower, hysterische Fans, tägliche Anrufe von Medienhäusern und eine komplett transparente Privatsphäre auf mich.

Als das Interview jedoch veröffentlicht wurde, geschah nichts dergleichen. Einzige Ausnahme, mein Cousin väterlicherseits, der per Zufall auf den Blick Artikel stiess und ihn freundlicherweise im Familienchat verteilte. Der grosse Ruhm blieb aus und so gönnte ich mir einen weiteren Rum an der Bar. Ist schliesslich fast das Gleiche. Beides vernebelt die Sinne.

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